Ein ständiges „Aufstreben zum Himmel“ - Veröffentlichung eines Atelierbesuches 1997
Die Dissonanzen sind für den Künstler Motor kreativen Schaffens
Der alte Mann in der Atelierwohnung an der Talstraße in Mettmann hat zu einem Umgang mit Farben gefunden, der ihm in seinem spielerischen Element auf das Leben bezogen offenbar immer wieder verwehrt war. Jetzt aber sind Farben und Leben mehr und mehr zusammengeflossen, so dass sich viele Verstrickungen durchschaubarer ausnehmen. Antonius van der Pas hat ein Stadium der Faszination erreicht, das aber, auch wenn es ihn viele Knoten lösen lässt, die Wehmut nicht ausklammert. „Es bleibt einem das Letzte doch immer für sich ganz allein“, sagt er. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich eine Geladenheit bis zum äußersten Rand, die in allem spürbar ist, was diesen Künstler umtreibt. Und diese Geladenheit drängt mehr denn je nach außen. Darum ist der 76jährige auch heute noch jeden Tag im Atelier. Und dort malt er mit einer Schnelligkeit, als wenn es dabei mit der Zeit förmlich um die Wette ginge. Dabei ist doch gerade das Malen für ihn der einzige „Ort“, an dem die Zeit nicht existiert. Anders verhält es sich, wenn er einem Gast Werke präsentiert. Kaum hat er eines seiner neuen Bilder, die ungewöhnlich frei und doch schlafwandlerisch sicher förmlich aufs feine Bütten geweht zu sein scheinen, an die Staffelei gehängt, nimmt er es auch schon wieder ab und präsentiert ein neues. Da läuft ein Film ab, eine bunte Eruption, ein Rausch – ein ganzes Leben, das sich in einem Rundumschlag endlich die ihm gemäße Freiheit verschaffen möchte. Es ist zunächst bei einem solchen Besuch nicht einfach, Zugang zu finden zu dieser innerlichen Welt, anfangs ist da wenig Halt. Dann allerdings gewinnt der alte Mann und alles dort um ihn herum beachtliche Kontur.
Antonius van der Pas hat in Mettmann einen reichen Schatz an Bildern, die ungeahnt viel all dessen abdecken, was die Zeitläufe dieses Jahrhunderts kreativen Gemütern in die Luft gelegt haben, auf das sie es sich erarbeiten. Es klingt nur beim ersten Hören paradox, wenn er sagt: „Es kommt einem wohl wie zugeflogen, doch es ist auch alles erarbeitet.“ Dieses Ein- und Wiederausatmen der Dinge, die in der Luft liegen, muß auch ein kreativer Geist erst einmal lernen. Insofern ist es unerlässlich zu betonen, dass der Lebenslauf von Antonius van der Pas an den entscheidenden Stationen immer auch geprägt war von Menschen, die ihm eine innere Führung zukommen ließen, die ihm bewusst oder unbewusst Mittler waren, ihn liebten und annahmen. In seiner Biographie stehen als Lehrer die Professoren Werner Heuser, Wilhelm Schmurr, Otto Coester, Wilhelm Herberholz und Theodor Champion verzeichnet, bei denen er im ersten Nachkriegssemester an der Düsseldorfer Kunstakademie sein Handwerk verfeinern lernte. Da waren auf der einen Seite die akademischen Studien, die strengen Skizzen und modellierten Gesichter. Und auf der anderen Seite, gleichsam parallel zu dieser Schule des Sehens und über sie hinaus, erwuchs aus der Auseinandersetzung mit den Dingen die innere Reife, die einen Künstler – sei er nun Dichter, Musiker oder Maler – irgendwann befähigt, alle Krücken von sich zu werfen. An diesem Punkt, an dem die Entwicklung keineswegs stillsteht, befindet sich Antonius van der Pas heute. Er hat eine Größe erlangt, sich den Bildern in seinem Inneren hinzuwenden, sie anzuschauen und sie kaleidoskopartig nach außen zu transformieren. Nicht nur für den Betrachter, sondern um sie dann auch selbst wieder neu aufzunehmen. Eine Aussöhnung findet statt, doch die im Prozeß künstlerischer Lebensbewältigung einmal erlangte Gewissheit existentiellen Auf-sich-Geworfenseins wird dadurch kaum gemildert. Immerhin war die Lehrzeit von Antonius van der Pas über die Maßen geprägt von Entbehrung, seelischer Not, innerem Aufatmen in südlichen Ländern, Zeiten großen Glücks und der darauf folgenden Ernüchterung. Und so wurde schließlich der Kosmos zu seinem Thema, das Dasein auf dieser „Kugel“ mit dem glühenden Kern, umgeben von einer undenkbaren Unendlichkeit.
Die Basis dieses innerlich so strahlenden Menschen, der den Künstlernamen jenes Heiligen von Padua trägt, der als Patron der Liebenden und der Ehe gilt, ist christlich, wie er selbst sagt. Doch auf dem Weg, von dieser Basis ausgehend, war der Zweifel stets sein Weggefährte – der am eigenen Vermögen, aufzugehen in der Bestimmung, der an der Möglichkeit einer Erlösung vom eigenen inneren Widerspruch, und letztendlich der Zweifel daran, überhaupt wirklich aufgehoben sein zu können. Alle diese Zweifel trieben den Mann, der mit Grass und Beuys studierte, sich selbst jedoch als völlig unpolitischen, eher zurückgezogenen Menschen bezeichnet, ins in so hohem Maße Schöpferische. Dem Schöpfer zur Hand gehen, damit man dessen Schöpferhand vielleicht besser würde spüren können. Dem Halbniederländer, dessen Vater aus Brabant stammte, der Druck und Drohungen der Nazis hatte erleben müssen, der seine Mutter früh verlor, die an einem historisch erzwungenen Hin und Her zwischen den Niederlanden und ihrer deutschen Heimat seelisch wie körperlich zerbrochen war, dem erst nach langen Mühen winzige Schritte des Ausdrucks seiner enormen künstlerischen Fähigkeiten erlaubt wurden – zunächst in der Druckerei bei Henkel -, sollte sich bei eben dieser inwendigen Suche auf Reisen durch die vielbesungenen Länder, wo die Zitronen blühen, eine Welt öffnen, die ihm wie ein Traum erschien.
Mit dem einen Bein stand er in den bitteren Erfahrungen der Jugend, die ihn geprägt hatten, und mit dem anderen in einem Paradies. Und darum spürte Antonius van der Pas dort, wo er das Glück suchte, auch den Schmerz des Spagats, den seine Seele dabei vollführen musste. Die jüngsten Bilder des gebürtigen Angermunders lassen diesen Schmerz und die daraus hervorgehende Sehnsucht nach einem Empfinden völligen Einverstandenseins mit der Existenz noch immer durchspüren. Aber vor allem sind es drei ältere Werke, eine Büste, ein Foto und ein Gemälde, die eng beieinander angeordnet sind, welche davon erzählen. Sie zeigen alle ein- und dieselbe Spanierin, Conchita Gonzales Munoz aus Granada, die Antonius van der Pas 1953 während einer Reise kennenlernte. Sie wurde noch im gleichen Jahr seine Frau und blieb es 22 Jahre lang – bis zu ihrem Tod nach schwerer Krankheit. Mit glänzenden Augen erzählt der Maler von den Sevillanas, die sie tanzte, die Schritte dabei immer streng gemäß der Vorschrift. Im Wesen dieser Frau muß der Maler einen Blick auf die Welt gefunden haben, der ihn genießen ließ, der seine Begegnungen mit Georges Braque, Pierre Bonnard und Pablo Picasso in der Form krönte, dass er sich nun, mit dieser südländischen Liebe, auch als einer der ihren fühlte: Künstler des Lebens. In gewisser Weise wird er so einem Klischee erlegen, auf weiten Strecken aber gut dabei gefahren sein. Und es war ja auch nur bis zu dem Punkt ein Klischee, ab dem er auf seine ganz eigene Weise daran zu wachsen und aus ihm herauszuwachsen begann. Da stand er wieder in der Dissonanz seines schicksalhaften Spagats. Und genau darin liegt die Großartigkeit dieses Menschen und seines schöpferischen Werkes. Denn die Dissonanz ist zugleich sein innerer Motor, der ihn bewegt, in produktivem Kampf um Harmonie zu ringen. Auch der 76jährige mit all seiner Reife und Ausdrucksfähigkeit befindet sich noch zwischen zwei Polen, die ihn treiben, sie zu vereinen: der Freiheit von der Zeit beim Malen und dem immer spürbar werdenden Mangel an verbleibender Zeit jenseits der kreativen Insel. „Ein einziges Leben ist mir nicht genug“, sagt er und fragt sich, wie viel er noch werde ausdrücken dürfen. Schließlich gelte seine ganze Anstrengung, ob nun in seinen Bildern, Fresken oder Fenstern, doch nichts Geringerem als einem „Aufstreben zum Himmel“.
Und so ist einmal mehr kein innerer Widerspruch festzustellen: Antonius van der Pas erschafft mit Farbe Form. Sein Leben ist umhüllt von der Farbe. In einem Schwung mit dem breiten chinesischen Pinsel ist in Eitempera die Alhambra aufs Blatt gebannt, die nach des Malers Worten „das bedeutendste maurische Gebäude darstellt, das wir haben“. Eine klare, strenge Architektur zeichne ihr Äußeres aus, während im Inneren das Gegenteil vereinnahme: eine Fülle maurischer Mosaike und Stuckgipsornamente. Stets sind es die Gegensätze, aus denen Antonius van der Pas das Neue entwickelt. „Ich nähere mich ihm dabei aber immer mit Vorsicht, Respekt, Zagen, auch Mut“, sagt er. Er kann nicht anders, als wieder und wieder dieses Abenteuer zu wagen, auch wenn er jeglichen Verlockungen von Routine dafür abschwören muß. Seine Hauptfarbe, so erklärt er, sei das Blau, weil es der Phantasie und dem Traum nahe komme. In diesen beiden Ländern erblüht der alte Mann zu seiner ganzen kindlichen Kraft. Und die muß nicht weiter in Worte gefasst werden. Sie ist von sich aus so stark, dass sie überzeugt.
Manfred Bade