Kosmische Innenschau
 
 
Wenn ein fast achtzig jähriger Künstler etwa achtzig Arbeiten in einem Museum ausstellt, denkt der Besucher spontan: es muss sich um eine Retrospektive handeln, um einen Rückblick auf ein Lebenswerk, eine Bilanz, gezogen im reifen Mannesalter... Überrascht stellt er beim Betrachten der Entstehungsdaten fest, dass nur neun Bilder älteren Datums sind; alle anderen, meist großformatigen Gemälde, stammen aus den Jahren 1997 und 1998. Also Arbeiten in großer Zahl aus der aktuellen Schaffenszeit.
 
Antonius van der Pas, 1920 als Sohn einer deutsch-niederländischen Familie in Angermund geboren, gehört zu den erstaunlichen Künstlerpersönlichkeiten der Gegenwart, welche - wie Picasso oder Matisse - lange brauchten um jung zu werden, um dann, mit zunehmendem Alter, für immer jugendlich zu bleiben. Mit scheinbar unerschöpflicher Vitalität und einer positiven Dynamik, die sich immer wieder selbst beflügelt, komponiert der Künstler stets neue Farbsymphonien; seine Kreativität wächst zukunftsgerichtet von Bild zu Bild und erfindet noch nie gesehene, leuchtende Strukturen.
 
Welche physische Beweglichkeit die ausladenden Pinselstriche fordern, welche geradezu tänzerische Elastizität Voraussetzung für die großen Flächen und beschwingten Farbstriche ist, das lässt das Werk in teilweise monumentalen Dimensionen vielfach nachvollziehen.
"Kosmos", "Wolken", "Paysage"... unter diesen wenigen wiederholten Titeln der vergangenen Jahre entfaltet sich eine freudig-obsessiv geführte, spielerisch-leidenschaftliche Suche nach dem richtigen Gleichnis der persönlichen Erlebnisse. Die Unmöglichkeit, Vollkommenheit jemals zu erreichen, ist van der Pas bewusst, führt ihn jedoch weder in resignative noch depressive Stimmungen. Im Gegenteil: der Weg selbst, der stets wiederholte Malakt und die einzelnen Ergebnisse erfüllten ihn stets mit Freude und Kraft für weitere Gemälde. Beim Malen erscheint die Zeit für ihn stehen zu bleiben. Er taucht, erfüllt von Eindrücken, in die eigene Welt der Farben ein, wo nur das Ich und das Kunstwerk existieren. Wie ein Fluss strömen aus dem Inneren des Künstlers verborgene Gedanken und Gefühle und nehmen ausdrucksvolle Formen auf der Leinwand an. So erklärt sich die Schnelligkeit der Bewegungen, die freie, jedoch nicht durch Zufall, sondern durch innere Klarheit gelenkte Handführung. Die Sicherheit des Gestus ist im Laufe von vielen Jahren gewachsen und ruht auf geschultem Können.

Begonnen hat Antonius van der Pas seine berufliche Ausbildung mit einer Lehre als Werbegraphiker; sie füllte ihn jedoch nicht aus, deshalb besuchte er zusätzlich einen abendlichen Zeichenunterricht an der Gewerbeschule in Nijmwegen. Dort hatte der Vater 1932 wegen großer finanzieller Schwierigkeiten mit der Familie Zuflucht gesucht, um eine neue Existenz aufzubauen. Alle kehrten jedoch Anfang 1939 wieder nach Düsseldorf zurück. Während des Krieges musste sich der junge Gestalter in der Werbeabteilung der Firma Henkel verpflichten. Es waren gerade die Zwänge und Ängste, die seelischen Belastungen dieser Jahre, die ihn zum weiterführenden Kunststudium bewogen: gleich nach dem Krieg gelang die ersehnte Aufnahme an die Staatliche Kunstakademie.
 
Dieser Schritt bedeutete Grundsätzliches: zunächst die entscheidende Wende zur Laufbahn als freier Künstler, gestützt durch Akademie-Professoren wie Werner Heuser, Wilhelm Schmurr, Otto Coester, Wilhelm Herberholz und Theodor Champion. Gekonnt aber brav akademisch wirken die wenigen erhaltenen Gemälde aus diesen Jahren 1945/46. Weiterhin wichtig in dieser Zeit: die Auseinandersetzung mit den von den Nationalsozialisten in Deutschland diffamierten Richtungen der künstlerischen Avantgarde und mit der internationalen Moderne. Richtungsweisend beeinflusste ein ganzjähriger Aufenthalt in der pulsierenden Kulturmetropole Paris die weitere Entwicklung des begeisterten jungen Künstlers. Dort konnte er Braque, Bonnard und Picasso persönlich kennen lernen und sich durch ihre Malerei von den konservativen Düsseldorfer Vorbildern schrittweise befreien. Gleichzeitig faszinierten ihn Arbeiten von „Jungen Malern der französischen Tradition“, welche mit einem neuartigen, abstrakten Naturalismus hervortraten. Ihre Wurzeln lagen in der traditionellen Landschaftsmalerei, doch überwanden sie deren Realismus ganz bewusst, so wie in Deutschland der "Abstrakte Expressionismus" - zum Beispiel der Maler Wilhelm Nay - an den klassischen Expressionismus anknüpfte, aber dessen figurativen Ansatz überwand.

Van der Pas befand sich Anfang der 50er Jahre suchend auf dem gleichen Weg und löste sich nach und nach von der traditionellen figürlichen Malerei. „Wichtig ist mir die Peinture“. Die Farben, mit Vorliebe in Eitempera zu besonderer Intensität gebracht. sollen nicht Natur abbilden; sie stehen vielmehr wie Metaphern für ihre Wirkungen auf den aufmerksamen Beobachter von Landschaften und empfindsamen Künstler, der mit seinem Skizzenblock die Welt erobert. Das Bild ohne erzählerische Darstellung, als äußere Erscheinung von tiefgehenden Sinneswahrnehmungen und Gefühlen ....

„Auf einer meiner frühen Reisen hat mich das Licht des Südens fasziniert und nicht wieder losgelassen“, erinnert sich Antonius van der Pas an den glücklichen Lebensabschnitt, als er in Spanien seine attraktive Frau kennenlernte, als er an der Cote d`Azur länger wohnen und arbeiten, und seine Sehnsucht nach mediterraner Umgebung tagtäglich verwirklichen konnte. Das Glück endete brutal mit dem Tod der Ehefrau; der schmerzvolle Abschied öffnete gleichzeitig eine weitere Dimension des Erlebens, die des Kosmos.

Eine neue Balance beherrschte also die Leinwand: Energie ohne Bedrohung, Bewegung ohne Zerfall, Vielfalt und Weite ohne Beliebigkeit, Verbitterung oder Hässlichkeit.

Im Laufe der letzten Jahre gewannen die Kompositionen durch das Zusammenwirken von Plan und Spontaneität jene Kraft des Ausdrucks, jene eigene Sprache der Farben und Formen, welche banale Worte nicht wiedergeben können. "Malerei für das innere Auge" lautete 1990 der Titel einer umfangreichen Einzelausstellung in einer Düsseldorfer Galerie und wies damit auf das Wesentliche im Werk des Künstlers hin: Erinnerungen an Naturerlebnisse vielfältiger Art drängen nach außen und wirken nach innen, sie erscheinen als Farbstrukturen in stets neuen Variationen: erdverbunden, mit viel Gelb, Orange und Grüntönen; im Universum schwebend, wo Blau, leuchtendes Gelb, glühendes Rot und kühles Weiß dominieren.
 
Das Grundvertrauen in das Schöne und Harmonische trägt nicht nur den - vom Glauben gestärkten - Künstler, sondern auch das Werk. Der innere Sieg über Schicksalsschläge und Krisen hindurch klingt als die wesentliche Botschaft dieser Malerei: trotz allem lohnt es, sich über die Natur zu freuen und sie in Kunst zu verwandeln. Wer Antonius van der Pas in seinem Mettmanner Atelier besucht, spürt es in konzentrierter Form: in der obersten Etage eines grauen Betonhochhauses, in den von Gemälden vollgestopften Räumen wird noch immer der farbenfrohe Traum gelebt: die Bilder und der Himmel bieten Vertrauen und lebensbejahende Schaffensfreude.
 
ALICE VON RICHTHOFEN