Ein romantischer Realist
 
 
Obwohl sich die Kunst nach dem 2. Weltkrieg explosionsartig zum "alles ist möglich" hin entwickelt hat, ist sich der Maler Antonius van der Pas in einer Hinsicht absolut treu geblieben: Sein Metier war und ist zu jeder Zeit seines künstlerischen Schaffens die Farbe, wobei deren leuchtende Tonigkeiten Rot, Orange, Gelb und Blau den Sieg davongetragen haben. Farbe ist gleichsam ein Stück Persönlichkeitsstruktur des Malers, die weiter reicht als der autobiographische Hinweis auf das Malereigeschäft des Onkels, wo das Kind mit den Farben experimentieren durfte. Erziehung vermag sich aber nur da zu optimieren, wo eine artverwandte Grundkonstante vorhanden ist. Weit wichtiger für das Verständnis der Kunst von Antonius van der Pas scheint der Umstand zu sein, dass der Maler seit seiner Kindheit schwer hört. In den Farben wird das künstlerisch veranlagte Kind vielmehr ein Pendant zur Welt der Töne gefunden haben.
Nach seiner Ausbildung als Werbegrafiker studierte Antonius van der Pas an den Kunstakademien in Düsseldorf und Paris. Hier fand er sich in seiner Passion bestätigt, denn nach dem 2. Weltkrieg war die Farbe wieder das vorherrschende Thema der künstlerischen Auseinandersetzung. Vor allen Dingen in Amerika war mit der Farbe im Sinne der romantischen Tradition gearbeitet worden, während die deutsche Kunst in einem falsch verstandenen Romantizismus untergegangen war. Die gestische Malerei eines Jackson Pollock korrespondiert mit der Ausbildung des Informel in Europa. Auch für Antonius van der Pas wurde der abstrakte Expressionismus zur Grundlage seiner Kunst.
Im 18. Jahrhundert ist die traditionelle Einheit von Kunst und Wissenschaft auseinandergebrochen. Die antike Philosophie hatte aus der Kosmologie sowohl die Idee des sittlich Schönen wie des ästhetisch Schönen abgeleitet, die beide auf der Wahrheit eines Weltbildes beruhten, in dem das Eine oder die Einheit Grundlage der sich aus ihm entfaltenden Vielheit ist. Das Schöne ist die Angemessenheit und das harmonische Gleichgewicht der Teile zueinander und zum Ganzen. Während sich die Ausgewogenheit in den Proportionsgesetzen manifestierte, existierte für die Angemessenheit der Gestaltung ein auf der Musik aufbauendes umfassendes System künstlerischer Ausdrucksweisen. Von den Griechen wurde dieser Bereich im Rahmen des 'prepton' abgehandelt, bei den Römern in dem des 'decorum'. Die Harmoniegesetze der Musik wurden als Spiegel der Bewegungsgesetze des Sternenhimmels interpretiert: so wie die einzelnen Planetenbahnen ein ihnen typisches Muster aufwiesen, sollten die auf der Musik der einzelnen griechischen Volksstämme beruhenden musikalischen Modi Vertreter typischer Ausdrucksweisen sein. Der römische Musiktheoretiker Aristides Quintilianus nennt den dorischen Modus stetig, ernst und streng, den phrygischen mit seinen viel kleineren Modulationen dagegen lustig. Im Tempelbau galt die dorische Stilart deshalb auch als angemessen für männlich-strenge Gottheiten, die ionische da¬gegen für weiblich-strenge, die korinthische schließlich für solche mit einer weicheren Wesensart. Im 17. Jahrhundert beruft sich Nicolas Poussin auf die Ausdruckswertigkeit der musikalischen Modi und verwendet sie als Argument für die richtige Gestaltungsweise eines Themas in der Malerei. Der kleinteilige Rhythmus des Bildaufbaus ist ihm für ein heiteres Thema ebenso angemessen wie die Farbkombination Blau mit Gelb, während große Formen und edles Rot für ernste und erhabene Themen richtig sind. Erst im 19. Jahrhundert lösen sich die künstlerischen Mittel von den thematischen Vorgaben, werden sie Inhalt der Kunst selber. Cez armo wird Poussin den ersten abstrakten Maler nennen und seine Stilprinzipien zur Grundlage einer thematisch freien Malerei machen. Am Ende dieser Entwicklung steht eine allein aus Rhythmus und Farbe gebildete Komposition wie Mondrians 'Boogie-Woogie'. Auch Antonius van der Pas lässt sich noch in diese Entwicklung einordnen, allerdings nur, wenn man allein seine früheren Arbeiten in die Betrachtung einbezieht.
Das Beziehungsgeflecht von mathematischer Objektivität und subjektiver Wirkungsmächtigkeit floss nahtlos in die neue Form der mechanistisch geprägten Wissenschaftlichkeit ein. Auch die Kunst wurde akademisch und speiste sich von den Erkenntnissen dieser Wissenschaftlichkeit wie zum Beispiel der der Physiognomik. Die neue wissenschaftliche Disziplin betrachtete die Welt als ein Spiel nur äußerer Kräfte; dem setzte die Romantik eine Betrachtungsweise gegenüber, die von einer die Welt durchdringenden inneren Dynamik ausgeht. In dem frühen mechanistischen Weltbild war Gott nur noch der erste Beweger, der die Welt wohl geschaffen und wie ein Uhrwerk in Gang gesetzt hat, aber aus der Gegenwart verschwunden ist; im Sinne der romantischen Betrachtungsweise blieb Gott in der Welt - also auch im Menschen - als lebendiges Prinzip anwesend. Wegen dieses göttlichen, d.h. objektiven Urgrundes, kann das romantisch orientierte Denken im Gegensatz zu dem der positivistischen Wissenschaft auch innerhalb seiner Subjektivität nach den ewigen Schöpfungsgesetzen suchen und diese erforschen. Gerade über die Kunst hat sich dieser Bereich zu einer anderen Art von Wissenschaft ausgebildet. Hierfür typisch waren der Expressionismus, der Surrealismus, das Informel, ist Art Brut oder die Geistigkeit in der Kunst eines Tapies oder Twombly.
Die moderne Atomphysik hat ebenso wie die Hirnforschung der letzten zehn Jahre das romantische Weltbild als das Weitsichtigere bestätigt. Doch immer noch blockiert die Vorstellung, dass sich das Denken nur in Begriffen vollziehen könne, die Aktivierung anderer Erkenntnisarten. Wie Rudolf Arnheim schon 1969 ausführlich beschrieben hat, geht das anschauliche Denken in Wirklichkeit dem Denken in Begriffen voraus und ohne das vergleichende Denken in Räumen, ohne Anschauung der Zusammenhänge, kann keine neue Erkenntnis gewonnen werden. Geht man weiter davon aus, daß beim Denken ein elektromagnetisches Feld erzeugt wird, also eine Gestalt, spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, dass diese Gestalt auch direkt wahrnehmbar sein wird. Berücksichtigt man andererseits, dass die Schaltkreise des Denkens individuell verschieden angelegt sind je nach frühkindlicher Reizerfahrung, nach Maßgabe eines Kul¬turkreises und nach genetischer Disposition, muss man ebenfalls die Wahrscheinlichkeitskonstante berücksichtigen, dass es auch andere Wahrnehmungs-, Reizverarbeitungs- und Reflexionsformen bzw. Denkformen gibt, über die man persönlich nicht unbedingt verfügt. Die bildende Kunst zum Beispiel denkt in Linien, Farben, Flächenstrukturen, in der Gestalt von Körpern und der von Räumen, in Bildern und Materialien; die Musik in Melos und Rhythmus, Ton und Pause, Harmonik und Klangfarbigkeit, schließlich in Geräuschen aller Art; der Tanz in Bewegung. So ist nicht nur das Hören und Sehen ein Medium, Buchstaben zu erlernen, sondern auch die Mundmotorik, die die Form des einzelnen Buchstaben über die motorische Rinne erfahrbar und dadurch reproduzierbar macht. Wie aus einer neuen amerikanischen Studie hervorgeht, reichten schon fünfzehn Minuten Musikinstrumenten-Unterricht je Woche für eine wesentliche Steigerung der Intelligenz aus. Denn durch den Musikunterricht werden die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen verbessert und die Fähigkeit für räumliches Denkvermögen geschult. Räumliches Denkvermögen wiederum ist auch eine der Vor¬bedingungen für das Begreifen der höheren Mathematik.
Das Denken in Farben kennzeichnet Antonius van der Pas als einen "romantischen Realisten". Der Weg hierhin verlief nicht gradlinig, sondern über den Umweg der Tradition, die es auf- und abzuarbeiten galt. Denn am Anfang seiner Ausbildung als Werbe¬grafiker stand als notwendige Bedingung die naturgetreue Erfassung und Umsetzung von Gegenständen. Darüber hinaus ist die Werbegrafik eine angewandte Kunst; sie bedient sich der künstlerischen Mittel zu einem außerhalb der Kunst liegenden Zweck.
Hiervon versuchte sich van der Pas unter dem Einfluss der französischen Koloristen in Richtung Abstraktion zu lösen. In der Folgezeit entstehen Landschaftsbilder, deren Ab¬straktionsgrad jedoch noch in einer Aufarbeitung äußerer Strukturen befangen blieb. In den 60er und frühen 70er Jahren gewinnt die Form an Eigenständigkeit, wobei die Farbe immer noch eine der Form und ihren Inhaltserzählungen dienende Rolle spielte. Seine häufigen Reisen ins Ausland, bei denen ihn immer wieder sein Skizzenbuch begleitete, versorgten ihn mit einer Fülle an Bildern und Eindrücken von der Vielfalt und der Wandelbarkeit der Natur. In Bildwerken wie 'Säen - Reifen - Ernten' oder den 'Sternenfenstern' für die Marienkapelle in Neersen schlugen sich diese Eindrücke in der Darstellung nieder. In den frühen 80er Jahren vollzog sich der endgültige Schritt in die Freiheit des künstlerischen Denkens, findet van der Pas zu einer ihm absolut identischen Kunst. Form und Farbe werden zum Vegetabilen selber, sie wachsen und blühen aus sich heraus. Es entstehen hunderte farbiger Blätter, geschaffen mit der gleichen intensiven Manie wie die I'Jatur sich selbst hervorbringt. Damit ist die magische Schwelle erreicht, von der in der Kunstgeschichte immer die Rede gewesen ist:
Die Kunst sollte zu keiner Zeit die Natur nur abbilden oder nachbilden, im Ergebnis 'natura naturata' sein; sie sollte hervorbringen wie die Natur, d. h. 'natura naturans' sein. Denn die sichtbare Realität galt bis ins 19. Jahrhundert als nicht darstellungswürdig, da sie im Sinne Platons nur unvollkommenes Abbild der göttlichen Ideen ist. Noch Poussin wirft jenen Künstlern, die dem Naturvorbild verhaftet blieben, als Grund eine unentschuldbare Schwäche des Geistes vor.
Die Kunst im 20.Jahrhundert lernt, dass sie nur ihre eigene Realität darstellen kann. Von der Realität der außerhalb ihrer selbst existierenden Dinge kann sie nur Aussagen machen gemäß ihrer Wahrnehmungsmodalität. Wenn man jedoch von der inneren Dynamik ausgeht, die nicht nur der Realität an sich zu eigen, sondern das eigentlich Reale ist, lassen sich deckungsgleiche Felder zwischen dem Inneren, Eigenen und dem Äußeren, Anderen finden. In dieser Hinwendung zur inneren Dynamik der Welt ist Anto¬nius van der Pas ein Romantiker, und zwar, ähnlich wie Runge, ein romantischer Realist. Bei Runge war nicht die Farbe, sondern das Licht der Urgrund seiner Bilder. Das Licht beleuchtete nicht mehr die Dinge von außen, um sie sichtbar zu machen, sondern entwickelte sich von innen, aus dem Bildfeld heraus, gleichsam ein energetisches Feld aufbauend, aus dem die sichtbaren Dinge sich entfalten. Bei Antonius van der Pas ist es die den Farben innewohnende Dynamik, die aus sich selbst heraus und aus ihrer Kombination dieses Feld bilden, das entsprechend der Wirkmächtigkeit der Farben Ausdruck einer Realität ist.
 
Ursula Mildner